T.S.Eliot / Waage

„Waage“ hat sowohl mit Wiegen im Sinne von Abwiegen und Abwägen zu tun – und mit Wagen, dem Wagnis. Dies prägt wesentlich die Dichtung von T.S.Eliot – hier mit den GZH:

So ein Blog wie dieser ist ja letztlich fast ausschließlich ein Selbstgespräch. Ähnlich aber das erste große Gedicht von T.S.Eliot – mit nur 27 Jahren, 1915, veröffentlicht – und ohne jeden Zweifel ein Schlüsselgedicht des XX. Jahrhunderts: „The Love Song of J. Alfred Pufrock“. (Es gibt Texte, die lassen einen ja über Jahrzehnte nicht los…mit diesem hatte ich mich schon im Studium zu befassen.)

Der gesamte Text ist mühelos mehrfach zu finden im Netz, u.a. auch eine Lesung des Autors selbst auf Youtube. Die Schlusszeilen des Gedichtes – sorry, kein echter Zeilenbruch:

„I grow old . . . I grow old . . .

I shall wear the bottoms of my trousers rolled. /  Shall I part my hair behind? / Do I dare to eat a peach? / I shall wear white flannel trousers, and walk upon the beach. / I have heard the mermaids singing, each to each. /

  I do not think they will sing to me.  

I have seen them riding seaward on the waves / Combing the white hair of the waves blown back / When the wind blows the water white and black.  / We have lingered in the chambers of the sea / By sea-girls wreathed with seaweed red and brown / Till human voices wake us, and we drown.“

Sorry, das kann man einfach nicht übersetzen – da geht der berühmte „Flow“ des Englischen komplett verloren.

Jahresregent Saturn, Stunde Mond… für T.S.Eliot war es die Vergangenheit, die Oberhand gewann über die Gegenwart- „past superior to present“. Eliot ging es um das Thema Zeit und Ewigkeit, das Ringen um die Wiedergeburt des Geistes und Aussöhnung mit den Ansprüchen und Forderungen der Vergangenheit. Aber er hätte es leichter gehabt, wäre er ein schlichter Mann von gestern gewesen, ein Konservativer der alten Schule – aber das Entscheidende: Eben dies war er (auch) nicht. „…like a patient etherized upon the table…“ – gemeint ist der Abend (oder das Ich selbst?), dessen Eichendorffscher Blütenschimmer von keinem Himmel mehr still geküsst wird. Weder Romantik noch „Realität“. Er ist ein Unzeitgemäßer, wie es ihn häufiger gab in den ersten Jahrzehnten des XX. Jahrhunderts (und wie es ihn gerade in diesen Jahren wieder zu geben scheint) – siehe die oben eingebrachten Schlusszeilen: Der Versuch, Zuflucht in den Bildern der romantischen Tradition zu finden scheitert – die „mermaids“ bekümmern sich nicht um ihn – und es sind dann die „human voices“ des Hier und Jetzt, die ihn ertrinken lassen. Er findet hier wie dort kein Zuhause. „Der unbehauste Mensch“, das war mal eine Metapher für den Menschen des letzten Jahrhunderts.

Saturn ist in der Waage erhöht – und – der Hinweis sei erlaubt – indisch-vedisch aspektiert er das erste Haus, legt seinen Schatten darüber. Sonne wie Mond stehen in Luftzeichen – Alles und Jedes hat sich der mentalen Diagnose zu stellen – mit der Folge, dass es allzu oft nicht reicht zum finalen Entschluss. So fehlt es auch nicht an komischen Elementen: „Do I dare to eat a peach?“ – Too much of a good thing – mit Blick auf das massive erste Haus,- welches dem ständigen Wiegen-Abwägen ausgesetzt ist “ : … time for a hundred indecisions…“ Wie ein roter Faden zieht sich die „overwhelming question“ durch das Gedicht – und oft genug sind es nicht die wirklich „existentiellen“ Fragen, sondern die des trivialen Alltagsgeschehens, die dem Ich des Gedichtes den Weg ins Dasein verstellen. Der Rahmen des Gedichtes ist offenbar eine Art großbürgerliche Party – das wird immer nur angedeutet- und es will dem Autor dank seiner Verzagtheiten nicht gelingen, den Schritt aus seiner Reflexionsfalle zu tun, er hat keine Beziehungsfähigkeit entwickeln können, unterliegt dann – wiederum die Waage – dem steten vergeblichen Drang, am Ende doch zu eben dieser Beziehungsfähigkeit zu gelangen.

Zum Schluss des Gedichtes – das Ertrinken des Ichs: In der Wage haben die Fische ihre „Ausfließen“ (siehe F.Frickler) – die Waage ist das achte, „finale“ Haus der Fische. Das Thema des Ertrinkens wird übrigens aufgegriffen in Eliots wohl wirkmächtigstem Langgedicht, „The Waste Land“.

Nachtrag: Nun fand ich doch eine, wie mir scheint, gelungene Übersetzung – hier aber nur der oben wiedergegebene Schluss:

Ich will weiße Flanellhosen tragen und wandern am blauen Meer. / Ich höre die Meermädchen singen, hin und her. / Ich glaube nicht, dass ihr Gesang mir gilt. / Ich sah sie meerwärts auf den Wellen reiten / und kämmen weißes Wellenhaar im Flug, / Als Wind das Wasser weiß und schwarz zerschlug.

In Meergewölben ward uns Aufenthalt / Bei Meermädchen in rotbraunen Seetangs Winken, / Bis Menschenlaut uns weckt, und wir ertrinken.

(Übersetzung K.G.Just)

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