Edgar Reitz und die „Heimat“

Edgar Reitz‘ „Heimat“- Projekt hat nicht seinesgleichen in der Filmgeschichte: „Welche Ausdruckskraft, welche Konsequenz, welche Erzählkunst“ (Corriere della Serra). „‚Heimat‘ ist nicht nur das Kronjuwel des Neuen Deutschen Film, sondern markiert darüber hinaus einen Wendepunkt im europäischen Film“ (The Guardian). Reitz‘ Tiefenerkundigungen der deutschen Geschichte ermöglichen eine neue Sichtung des eigenen Landes und seiner Lebensformen. Unnötig zu sagen, dass „Heimat“ anrührt, bewegt, aber keinen einzigen Moment an billiger Sentimentalität aufweist.

Was tun, wenn ich keine Geburtszeit habe? Ich selbst halte nicht viel von einer Rektifizierung „ex nihilo“ heraus – meist überlagert die oft fragwürdige subjektive Erwartungshaltung die unbefangene Wahrnehmung. Die Erfahrungen mit der indisch-vedischen Astrologie („Jyotish“) auf tropischer Grundlage (wie von Ernst Wilhelm gelehrt) haben mir gezeigt, dass man im Falle des Fehlens einer Geburtszeit den Mond in den Focus nehmen sollte. Denn grundsätzlich gilt im Vedischen, dass ein Horoskop nicht allein vom AC aus gedeutet werden sollte, sondern auch vom Mond her: Dieser wird mit seinem Zeichen (Ganzzeichenhäuser!) dem ersten Haus gleichgesetzt. Es gelten dann die elementaren Regeln des Jyotish (=vedische Astrologie): die spezifischen Formen der Aspekte wie auch die wichtigen Yogas (=planetare Verbindungen). Ein Problem tritt natürlich auf, wenn nicht klar ist, in welchem Zeichen der Mond steht – hier muss man mit Vorsicht vorgehen, will man das richtige Zeichen finden. Im Falle von Edgar Reitz bedarf es da keiner Mutmaßung: Der Mond stand bei seiner Geburt (am 01.11.1932, Morbach, Hunsrück) eindeutig im Schützen. – Hier ist daran zu erinnern, dass es der Mondist, der im Jyotish den „Geist“ repräsentiert – und nicht etwa die Sonne. Dies irritiert den „Westler“ und löst nicht selten spontanen Widerspruch aus. Das Problem liegt begründet vor allem im Begriff „Geist“. Das englische „mind“ kommt dem indischen „manas“ deutlich näher. Der Mond steht auch im Jyotish nicht „über“ der Sonne, aber er ist derjenige, der wesentlich unserem Dasein Rhythmik gibt, uns mit den wichtigen Lebensaufgaben und Lebensfeldern konfrontiert. Dies hat interessanterweise auch Thomas Ring so gesehen, obwohl es in seinem Fall wohl kaum zu einer näheren Kenntnis des Jyotish gekommen sein dürfte. Er verwendet für den Mond den Beriff der „Funktion“ mit Blick auf den „welteingepassten Lebensvollzug“. „Funktion“ meint hier „lebensfunktionales Prinzip, der Reizung entsprechendes Eingehen auf die Außenwelt, Umlauf der Verrichtungen, Kontakte“ (Th.Ring: Das Grundgefüge. Die Stellung des Menschen in Natur und Kosmos. Freiburg 1986). Wir kommen hiermit der vedischen Sichtweise erstaunlich nahe.

Der Mond hier im Schützen – u.a. der Raum der bewegten Bilder, eben auch des Films. Das seelische Empfinden ist getragen vom Gefühl der Unabhängigkeit, das sich im Blick auf den entfernten Horizont äußert, sich zu dokumentieren sucht im weitausgreifenden Wurf – und eben dies kam zum Ausdruck in dem alle Maßstäbe sprengenden Heimat-Projekt (an die 60 Stunden lang). Jupiter, Regent über den Mond, findet sich im zehnten Haus vom Mond – auf dem „eruptiven“ 17. Grad Jungfrau. Jupiter ist als Herr über Haus eins (Haus des Mondes) zwar grundsätzlich „positiver“ Natur, befindet sich aber im Zeichen eines Feindes, auch die benachbarte Venus ist nicht sein Freund. Dementsprechend war der Lebensgang von E.Reitz alles andere als gradlinig nach oben führend, er musste über 50 Jahre alt werden, bevor sich Achtung und Würdigungen, dann aber europaweit, einstellten. Im Jyotish sind die den Mond in den Nachbarzeichen flankierenden Planeten, sofern gegeben, zu beachten. Hier Merkur im zwölften vom Mond: Die Tradition spricht von künstlerischen Fähigkeiten, auch „technischer“ Agilität, auch ist die Rede von bemerkenswerten Fähigkeiten im verbalen Ausdruck (zum 90. Geburtstag erschien die ausführliche Autobiographie des Filmemachers). Vor allem aber: Reitz, Sohn eines Hunsrücker Uhrmachers, hatte bei seinem Vater weitgehende Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich der Feinmechanik erworben, die ihm zustatten kamen, als er in der Mitte der 50er Jahre Abstand von seinen Theaterambitionen nahm und sich dem Film zuwandte. Dann sehen wir Saturn im zweiten Haus vom Mond: ausdauernd einer Sache gewidmet, dabei in „jeder Art von Geschäften erfahren“ und „in seiner Stadt geachtet“ (so die tradierte indische Beschreibung). Saturn aspektiert im Jyotisch – wie alle Planeten – das gegenüberliegende Haus, aber auch das dritte von ihm aus wie das zehnte. Das dritte von ihm aus aber ist das vierte vom Mond aus: Es geht um das Thema „Zeit“, auch um das damit untrennbar verbundene Thema der Vergänglichkeit – und dies bezogen auf den Schauplatz der „Heimat“. Von Interesse ist zudem Rahu (der Nordknoten) im vierten vom Mond aus, in den Fischen stehend – und auch dies ist stimmig, denn „Heimat“ ist bei Reitz der Bereich, an den man gebunden ist- dem man aber auch ausgeliefert sein kann – dem man folglich zu entkommen sucht (um dann am Ende doch häufig wieder zurückzukehren – so wie der Protagonist am Ende der „Zweiten Heimat“, der nach einem Jahrzehnt in München wieder den Weg zurück findet).

Natürlich ist auch im Jyotish die Sonne die Lebenskraft, die vitale Energie – eine schwach gestellte Sonne kann dem Erlangen von Lebenszielen entgegenstehen. Hier aber ist eine stark wirkende gegenseitige Rezeption von Mars und Sonne gegeben, zudem stärkt Mars das Zeichen der Sonne (Mars aspektiert das vierte Haus von ihm aus gesehen). Und die Sonne steht im Skorpion im Zeichen des Freundes Mars, und dieser im Zeichen des Freundes Sonne. – Die Sonne im Zeichen Skorpion: immer wieder ist bei Reitz das Thema des Todes angesprochen. So sind zwei Teile der „Zweiten Heimat“ den Toden von engen Freunden des Protagonisten gewidmet, im ersten Teil der „Heimat“ kommt der Vater dieses Protagonisten um. Und wer „Heimat“, Teil 1 kennt, dem wird u.a. die letzte Folge, „Das Fest der Lebenden und der Toten“ bildhaft vor Augen stehen. Es versteht sich von selbst, dass bei einem Künstler wie Reitz keine nekrophilen Anwandlungen auf die Leinwand gelangen, ebenso wenig, wie eingangs schon gesagt, billige Sentimentalität.

4 Gedanken zu „Edgar Reitz und die „Heimat“

  1. Hallo Klaus,

    ich bin gerade aufgestanden und habe erst einmal eine Zigarette
    geraucht, Musik angemacht und dann dieser Aufsatz/ Essay von Dir.
    Wo hast Du das bloß gelernt, so etwas Geiles schreiben zu können…
    Mit Deinem Krebs Aszendent, dem „geborenen“ Autodidakt des Tropischen Tierkreises nötigst Du mir, mit diesem Aufsatz tiefsten Respekt und Verehrung ab.
    Ich wünsche Dir, Klaus Wessel, nachträglich alles Gute für Dein neues Lebensjahr, Gesundheit und Wohlstand.

    Thomas Fröba

    1. Hallo Thomas, nun, das sind ja wirklich ungewohnte Worte…. 🙂
      Dank – auch für die netten Wünsche, das neue Lebensjahr betreffend.
      Schön, dass dir die Ausführungen zusagen (nur: „Verehrung“ – das ist eine Nummer zu groß für mich, es reicht mir, ein wenig an positiver Zuwendung zu verspüren). – Die Astrologie und ich : Ich habe die ersten fruchtbaren Begegnungen mit der Astrologie gefunden bei Thomas Ring (der droht in Vergessenheit zu geraten, was in meinen Augen unverzeihlich wäre…). Er hat es immer verstanden, astrologische Befunde in einen Zusammenhang zu bringen mit mundanen, spezifisch kulturgeschichtlichen Entwicklungen. Das ist mir, ihm da folgend, seit langem ein Anliegen. – Interessant, dass Du den „Autodidakten“ herausgefunden hast, mich betreffend. Ich habe nie einen Astrologiekurs besucht, kenne faktisch keinen Astrologen, bin auch kaum je kontaktiert worden (abgesehen von den Forumskontakten – aber da hab ich mich ja rausgezogen…)
      Beste Grüße,
      Klaus W.

  2. Hallo Klaus,

    ich muss gestehen, als ich Bernd Westphal 2014 kontaktierte, sprachen wir auch über das Vorgängerforum, in dem auch der verstorbene Astrologe schrieb, der bezüglich der Südhalbkugel einen speziellen Ansatz vertrat…. der dann verstarb, ich weiß momentan gar nicht mehr seinen Namen im Moment, der Heilpraktiker, jedenfalls…..
    Ich hatte damals schon gewusst, daß Du und Federkiel zu den Besten gehört, die hier im Internet Wissen an Astrologieinteressierte vermittelt. Wobei das eine gänzlich sachliche Beschreibung der Tatsachen, nach meinem Kenntnusstand war. Bernd musste sich leider Gottes, meine ätzende Kritik über Euch beide anhören. So war ich halt, und habe mich kein Jota verändert. Was hatte ich doch damals abgelästert, dann schloss das Forum und Bernd machte ohne mein Wissen, astrologisch.eu auf und Ihr ward beste Freunde; Ihr drei Helden…..
    Ich kaufte in zwölf Raten den Astroprozessor und geriet mit den vereinbarten Raten in Verzug….Scheiße, kein gutes Feeling. Ehrlich. Hatte damals auch gewusst, daß Du, Klaus, ein Studienrat bist und dachte mir im Stillen, der wird nie herauskommen, aus seiner beruflichen Fußfessel, Studienrat.
    Ich war immer ein Döbereiner, damals, bis ich die TransNeptuner und Bernd Westphal wieder kennenlernte, den ich nur aus meinen astrologischen Anfängen 1988 kannte, damals in der Schlüterstraße, in der Nähe der Esoterik-Buchhandlung, neben dem Uni-Campus in Hamburg, in der Schlüterstrasse, Hausnummer mir zur Zeit unbekannt. Wie das Leben doch so spielt, Du hast Dir Meriten verdient, wie mittlerweile astro.com definitiv beweisst. Nochmals herzliche Glückwünsche zum Geburtstag.

    Astrogrüße
    Thomas Fröba

    http://www.thomasfroeba.com

    1. Hallo Thomas,
      apropos „Studienrat“ – bin seit sechs Jahren „aus dem Dienst“ – hatte aber damals keine Probleme damit, das „Dienstliche“ mit dem Thema Astrologie zu verbinden.
      Noch einmal: Dank für die freundlichen Worte! Der allzufrüh Verstorbene, von dem Du sprichst, das war André Helms – Opfer eines aggressiven Krebses, allzu jung gestorben. – Ich habe nach „Astrologix“ in drei nachfolgenden Foren geschrieben (z.T. dort moderriert, auch administriert) – die drei Hauptadministratoren, zuletzt Bernd, sind gestorben.
      Ich habe Bernd nur via Mail etc. gekannt – bis zum 22.07.2021, da trafen wir uns an seinem Wohnort. Bernd kontaktierte mich vor knapp drei Jahren: Ob ich gewillt sei, ihm bei einem neuen Forum zur Seite zu stehen ? – was dann auch geschah. – Ich habe das Forum, wie Du wissen wirst, in der Zeit seiner schweren Krankheit am Leben gehalten, auch in der Zeit nach seinem Tod. Mir ist aber währenddessen klar geworden, dass ich nach rund zwanzig Jahren Präsenz in Astrologieforen einen dauerhaften Rückzug brauchte. Auch deswegen, weil ich nicht länger gewillt war (und weiterhin bin), mich (mit nunmehr 71 Jahren) den in Teilen dort doch recht scharfen Diskursen/Dissenzen auszusetzen. – Aber das soll’s denn hier nun gewesen sein, was das Private angeht -ok?
      Beste Grüße,
      Klaus

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