Gefragt, welche bildliche Vorstellung die deutsche Sprache bei ihm auslöst, sagte jemand: „Deutsch ist wie ein Holzschnitt von Albrecht Dürer.“ Ein anderer: „Deutsch: ein Fachwerkhaus unter Eichenbäumen“. – „Süße deutsche Sprache“, sagte der argentinische Autor Jorge Luis Borges. „Die schreckliche deutsche Sprache“, das sagte bekanntlich Mark Twain. Er hatte dabei wohl weniger Phonologisches im Sinn als die komplexe Worstellung des Deutschen, insbesondere das (in Nebensätzen) nachgestellte Verb, welches häufig ans Ende eines langen, überlangen Satzes gesetzt wird. Das Deutsche gilt als schwer, schwer zu erlernen, schwer im Sinne von gewichtig. Zwar finden sich nicht selten Liebhaber des Deutschen und der deutschen Literatur. Doch die Zahl derjenigen, die sich der Fremdsprache Deutsch zuwenden, nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Das Deutsche, gesprochen, gilt als hart, mancher hat gar noch das gebellte Deutsch drittkassiger Hollywood- Nazifilme im Ohr. – Ohne Zweifel ist das Deutsche eine saturnisch geprägte Sprache. Dies betrifft das Lautbild wie die grammatischen Strukturen gleichermaßen. Es heißt: Wer ein korrektes Französisch spricht, der spricht gleich ein gutes. Für das Deutsche gilt dergleichen nicht. Man kann ein grammatisch fehlerloses Deutsch sprechen und schreiben und dennoch ein schlechtes produzieren. Das sog. Kanzleideutsch pflegt(e) korrekt zu sein, doch der Drang in den Nominalstil und in die Verschachtelung der Sätze trägt den Stempel des bleiernen Saturn. (Die nominale Prägung zeigt sich nicht zuletzt in der Großschreibung der Nomen, was es meines Wissens in keiner anderen Sprache gibt.) Das bedeutet: Das Deutsche fordert den Sprecher, ist eine Zu-mutung, nicht nur für denjenigen, der diese Sprache erlernt, sondern auch für den Muttersprachler. Dies betrifft zum einen die Lautbildung. Wörter wie zwanzig, Zwetschge, zwischenzeitlich, Quetschung, es spritzt sind selbst von geübteren anglo-amerikanischen Sprechern nur mit großer Schwierigkeit zu bewältigen. Den Franzosen gilt „le ersatz“ als Musterbeispiel für einen typisch unschönen deutschen Laut. – Dies ist das eine, das andere: „Deutsch sprechen ist wie Tetris spielen“, sagte mir ein Spanier (Tetris: das puzzleartige Computerspiel aus den 80er Jahren). „Man muss die Kästchen sorgfältig und konzentriert plazieren“ – womit er die Wörter und die Satzteile meinte. Wie richtig der Tetris-Vergleich ist, zeigt die Einschätzung eines britischen Autors: „Im Englischen kann man sich an Bord eines Satzes begeben, ohne dass das Ziel schon genau anvisiert ist, aber im Deutschen kann man nicht auf diese Weise improvisieren. Wir müssen uns genau darüber im Klaren sein, was wir sagen möchten, bevor wir zu diesem Versuch ansetzen, und wir müssen sämtliche Teilsätze in die richtige Reihenfolge setzen.“ (zitiert nach G.Dorren: „In 20 Sprachen um die Welt“, München 2021). In der Tat hat das Deutsche nicht den „flow“ des Englischen (man höre z.B. einmal einen guten Sprecher mit der Rezitation von P.B.Shelleys „Ode to the West Wind“). Andererseits: Kaum eine Sprache kann so virtuos Komposita bilden wie das Deutsche, gerade hier findet sich eine der Stärken dieser Sprache. Begriffe wie Weltschmerz, Weltanschauung, Fremdschämen, um nur wenige anzuführen, haben zum Teil Eingang in andere Sprachen gefunden. Doch auch im Falle der so praktischen Komposita zeigt sich Ambivalenz: Bei Überwertigkeit bilden sich die gefürchteten allzu langen Wörter, die es dem Deutschlernenden so schwer machen – der „Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitän“ lässt grüßen.
Warum klingt das Deutsche hart? Es hat nicht mehr Konsonanten als die meisten anderen Sprachen. Aber das Charakteristische beim Deutschen ist, dass das Silbenende, damit auch der Wortauslaut, viel häufiger auf einen Konsonanten endet, als dies in anderen Sprachen der Fall ist. Man wird dergleichen kaum im Französischen oder im Italienischen finden. Ein Italiener, der recht gut im Deutschen war, sagte mir: „Meine Schwester hat einen netten Mann.“ Ich verstand „hatte“. Der Grund: Dem romanischen „musikalischen“ Sprachempfinden widerstrebt die Auslautung auf einen harten Verschlusslaut wie t, k, p. Also kommt es, wie im genannten Beispiel, zu einer leichten Vokalisierung des Endkonsonanten. Die „Aufweichung“ der harten Verschlusslaute findet sich, wenngleich weniger ausgeprägt, auch im Englischen: siehe deutsch „Wind“ – englisch „wind“ oder englisch „Bob“ – was nicht etwa wie „Bopp“ auszusprechen ist!
Man hat treffend von einer Verholzung (Saturn!) des Deutschen gesprochen. Vermutlich klang das Deutsch der Minnesänger (u.a. Walter von der Vogelweide) noch musikalischer als das heutige. Doch der Prozess der Verhärtung des sprachlichen Ausdrucks, hatte im Hochmittelalter längst eingesetzt. Dies war ein Prozess, der sich über Jahrhunderte erstreckt hatte und seinen Ausdruck fand in den wiederholten Lautverschiebungen, die schon die Brüder Grimm (beide saturnisch geprägt) näher untersuchten. Die erste dieser Lautverschiebungen hat wohl auf dem Höhepunkt oder zum Ende der Völkerwanderung eingesetzt. Mit dem 9./10. Jahrhundert waren die Verschiebungen im Wesentlichen abgeschlossen. Man erinnere sich: „b“ zu „p“, „d“ zu „t“ , „g“ zu „k“, „p“ zu „pf“. Bekanntlich machte das Niederdeutsche wie auch das Niederländische die letzte der Verschiebungen nicht mit (siehe z.B. niederländisch „paard“, deutsch „Pferd“, englisch „path“, deutsch „Pfad“, „Penny“ – „Pfennig“, niederdeutsch „Pol“, deutsch „Pfahl“ und viele mehr).

Obenstehend sieht man das Wassermann-Oktilogramm 962, der Kaiserkrönung Otto des Großen in Rom um wenige Tage vorausgehend. Mit der Regentschaft Ottos (nicht etwa mit Karl dem Großen!) kann man von einer sich bildenden deutschen „Nation“ sprechen, tatsächlich findet zu jener Zeit das Wort „deutsch“ schrittweise Verbreitung. Das obige Horoskop ist natürlich kein Staatshoroskop, wenngleich sich leicht nachweisen lässt, dass es manche grundlegenden Entwicklungen des Landes abbildet. So befand sich Pluto im Transit beim Zusammenbruch des III. Reiches Ende April, Anfang Mai 1945 so gut wie bogenminutengenau auf seiner Radixposition. (Erst mit der Verfassung des Jahres 1495, verabschiedet auf dem Wormser Reichstag, kann von Staatlichkeit im enegeren Sinne die Rede sein.) Der enge Zusammenhang von Sprache und Nation zeigte sich zur Zeit Ottos insofern, als derjenige als „deutsch“ galt, der deutsch („thiudisc“) sprach. Wir sehen in diesem Horoskop, wenig überraschend, einen starken Saturn (im Domizil), Pluto opponierend, dazu gilt ME/SA=PL : u.a. langsam-dauerhafte Sprachentwicklung, „wachsender Ernst in Gespächen“ (U.Rudolph, ABC für Planetenbilder), der gravitätische sprachliche Ausdruck. Und gewiss hat die Verbindung von Saturn und Merkur zu tun mit der auch heute noch so oft ausartenden sprachlichen Regelungswut. Es stimmt schon, Heiterkeit, die Leichtigkeit des Seins, ist nicht das Grundempfinden des Deutschen. „Tatenarm, gedankenschwer“, so beschrieb Hölderlin seine Landsleute. Aber es kommt nicht von ungefähr, dass so viele Philosophen von Rang in der deutschen Sprache geschrieben haben: Kant, Hegel, Schelling, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger, Wittgenstein… Heidegger behauptete gar, man könne nur in zwei Sprachen tiefgründig philosophieren: im Altgriechischen und im Deutschen. Da gab es begreiflicherweise reichlich begründeten Widerspruch.
„Süße deutsche Sprache“ – vielleicht hatte Borges die verborgene Musikalität des Deutschen vor Augen, als er sich so äußerte? Wie sie sich zeigt im deutschen Volkslied, aber auch im deutschen Kunstlied (Schubert, Schumann, Mahler…)?
Hallo Klaus,
ein feiner Beitrag. Mark Twains hat mit grosser Lust seine Satiren über das Deutsche geschrieben – immerhin! Das Dilemma liegt auch in der Astrologie vor;drückt man sich so aus wie nur Thomas Ring dies konnte, mit der ganzen Gedankenwelt und Liebesmühe für die exakte Begrifflichkeit, lassen sich seine Bücher gar nicht andere Sprachen übersetzen…
viele Grüsse
Michael
Hallo Michael. Ja, Thomas Ring ist meines Wissens in keine andere Sprache übertragen worden. Du lässt klar erkennen, woran es lag. Ich hatte Kontakt mit Frau Calderara (verstorben, wie du CH), deren Anliegen u.a. fällige Übertragungen zumindest eines Teils des Ringschen Werkes war. Im nichtdeutschen Ausland ist Th.Ring gänzlich unbekannt. In der Tat präsentiert Rings Werk einem jeden Übersetzer etliche harte Nüsse. Ich selbst (Anglist) habe mal versuchsweise einige Ring- Passagen ins Englische übertragen. Ich würde sagen: kaum leichter zu übersetzen als ein Thomas Mann-Text. Ich fürchte, da wird nichts mehr zu erwarten sein…
Mehr als bedauerlich. Thomas Ring verfügte über eine tiefgreifende Bildung, die alles an billig-eitler Schöngeistigkeit meilenweit hinter sich ließ.
Sehr schöne Darlegung über die Deutsche Sprache Klaus.
7° Löwe ist ja in der MRL ein grundsätzlicher Grad: hopp oder drop.
Merkur lief da ja gerade drüber und zeigt die artikulative Kenntlichmachung.
Auch dein Hinweis der Härte des Deutschen, abgemildert in den Dialekten und natürlich in Schweizerdeutschen, das ja die Vorstufe erhalten hat.
Grüße Katharina
Hier noch, wie ich finde, ein paar treffende Zitate aus Mark Twains spitzer Feder:
„Deutsche Bücher sind recht einfach zu lesen, wenn man sie vor einen Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt, um die Konstruktion herumzudrehen, aber eine deutsche Zeitung zu lesen und zu verstehen, wird für den Ausländer wohl immer eine Unmöglichkeit bleiben.“
„Wenn der literarisch gebildete Deutsche sich in einen Satz stürzt, sieht man nichts mehr von ihm, bis er auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans mit dem Verb zwischen den Zähnen wieder auftaucht.“
„Im Deutschen beginnen alle Substantive mit einem grossen Buchstaben. Das ist nun wahrhaftig mal eine gute Idee, und eine gute Idee fällt in dieser Sprache durch ihr Alleinstehen notwendigerweise auf.“
(aus:Mark Twain für Boshafte, insel TB 3473)
😁..ein echter M.Twain. / Katharina: Dank für den netten Kommentar. Mir fiel auf, dass Merkur in dem Horoskop oben rückläufig ist. Nun wird Rückläufigkeit ja Recht unterschiedlich gedeutet. Ich denke, ein rückläufiger Merkur – auf individueller Ebene – wird nicht das mentale Vermögen einschränken, wird aber zu einer „Retardierung“ im Sinne einer „Bedächtigkeit“ neigen.