Merkur – merkwürdig

Einige zugestanden unfrisierte Gedanken Merkur betreffend.

Der griechische Hermes wurde bei den Römern zu Merkur – das war eine Ableitung aus dem Altlateinischen „merx“ = „Ware“. Die nüchtern-praktischen Römer hatten also den konkreten Nutzungseffekt, das Merkantile, vor Augen. Das Wort „merx“ dürfte indogermanisch aber mit dem Wort „merken“ verbunden sein. Und dieses beinhaltet auch die Auf-merk-samkeit, die Wachheit, die aber immer auch begleitet ist durch seelische Teilhabe. „Ich merke mir das“ – d.h. ich füge es meinem Inneren, auch meinem Gedächtnis hinzu. Gehe ich zurück in die frühesten Zeiten der Astrologie, dann finde ich ein Verständnis des Merkur, welches weit hinausgeht über den „underdog“, zu dem er geworden ist – denn so wird der Merkur gegenwärtig ja allzu oft wahrgenommen. Doch jede der alten Hochkulturen – die Induskultur, die altchinesiche, die des Zweistromlandes, die altpersische, die ägyptische – jede von diesen setzt ein mit der Ausbildung einer eigenen Schriftlichkeit. Und am Kulturbringer Hermes Trimegistos führt hier kein Weg vorbei. Er verschmolz in der antiken Wahrnehmung mit dem ägyptischen Thot, dieser war eine eher lunare Gestalt, aber auch er war engstens verbunden mit dem Thema Schrift. (In diesem Zusammenhang: In der vedischen Astrologie ist Merkur ein Kind des Mondes.)

Die Verabschiedung der traditionellen Herrscherordnung in der neueren Astrologie ist m.E. ein verhängnisvoller Angriff auf die Fundamente der Astrologie. Logischerweise müsste es ja auch einen Neuherrscher für den Stier? – die Waage? – geben. Und analog: Der Neuherrscher, welcher den Merkur als Regent der Zwillinge? – der Jungfrau? ablösen kann ist nicht in Sicht. Und der Versuch, diesen oder jenen Kleinplaneten, womöglich gar Asteroiden als Regenten für die Jungfrau zu bestimmen, wie wiederholt geschehen, ist als peinliche Tatsache zu vermerken. Oder anders: Natürlich ist Mars der Primärregent über den Widder und den Skorpion, Jupiter ist Regent über den Schützen und die Fische, Saturn Herr über den Steinbock wie auch den Wassermann.

Wie aber nun kommt es, dass Merkur zunehmend verkürzt wurde auf die Themen Kommunikation, Rechnen, Ratio etc. ? Wo also liegen die Gründe für die Ausblendung der Jungfrau-Seite des Merkur? Merkur wird von manchen Astrologen unter Wert gehandelt, Ergebnis einer folgenreichen einseitigen Wahrnehmung. Thomas Ring – zum Nachteil für die heutige Astrologie weitgehend ignoriert – hat da klarer gesehen. Er sieht Jupiter= sinnhafte Rückbindung, Optimum / Merkur= zweckhafte Aussonderung, Ökonomie – und diese Bestimmungen sind verbunden unter dem Oberbegriff der rhythmischen Lebensbeseelung in der Form der strategisch und taktisch durchführenden Praxis/Regulation. (Th.Ring: „Das Grundgefüge“)

Martin Heidegger, Radix der Geburt

Ein Blick auf das Horoskop Martin Heideggers. Wir sehen Merkur als Regent über das MC wie über den DC und zwar in der Verbindung MC=ME/SA. Hinzu kommt ME=SA/JU – mentale Konzentration, das philosophische Denken. Nun war Heidgger bekanntlich alles andere als ein blinder Apologet der Moderne und des rational begründeten ungehemmten Fortschritts. Berühmt ist diesbezüglich sein Begriff des „Ge-Stells“, an welches das Dasein zu „verfallen“ droht. Doch in „Sein und Zeit“, der bedeutendste Text Heideggers, ist einer der zentralen Begriffe die Sorge. Nähere Verdeutlichung erbringt das entsprechende Verb mit Präfixen: besorgen, entsorgen, umsorgen, versorgen. Die Sorge ist laut Heidegger gar eine Wesenszug des menschlichen Lebens. Heidegger unterscheidet zwischen der Sorge für das Selbst und der Sorge für andere, Letzteres ist die Fürsorge. Die Fürsorge wiederum gibt es in zwei Formen: die einspringende Fürsorge, die den Mitmenschen deren Sorgen abnehmen will und die vorspringende Fürsorge, die dem Mitmenschen helfen soll, seine eigenen Sorgen zu erkennen und diese zu (er)-tragen. Ohne Sorge entgleitet uns das Dasein, fehlt der Antrieb zum Handeln. Und wichtig – hier wird der Bezug zum Jungfrau-Merkur ganz deutlich – die Sorge weckt auf, schafft Wachheit, Umsicht, ermöglicht den klaren Blick auf das, was das Leben sinnvoll macht. Heidegger unterscheidet zwar die Begriffe „Sorge“ und „Besorgtsein“ – doch gibt es keinen Ausweg aus den Not-wendigkeiten der Sorge.

Die Zwillinge und die Jungfrau stehen zueinander im konstitutiven Verhältnis des Quadrates. Die Zwillinge schließen den mundan ersten Quadranten, den der konkreten Phänomene, die Jungfrau schließt den zweiten Quadranten, den Raum seelischer Identität, des seelischen Ausdrucks – und final der seelischen Selbstbewahrung. Aus der Sicht der Zwillinge ist die Jungfrau das vierte Zeichen – dem Prozess der fortwährenden Diversifikation folgt die Rückwendung im Sinne der Selbstbewahrung. Hier liegt der tiefere Grund für das Thema des Narzissmus‘, der wesentlich ja nicht etwa von Egoismus, sondern vom Hang zum Selbstschutz bestimmt ist.
Es lohnt, bei der Betrachtung eines Horoskops der Frage nachzugehen, in welchem Zeichen von den Zwillingen und von der Jungfrau aus gesehen Merkur zu finden ist. (Die Beziehung zwischen Domizil und besetztem Zeichen ist natürlich generell, bei allen Planeten gegeben.) So wird z.B. plausibel, warum Merkur im Wassermann zu einem weltanschaulich motiviertem Denken neigt – Merkur steht dort im neunten Zeichen von den Zwillingen aus gesehen. Und er steht im sechsten Zeichen von der Jungfrau aus – hier gewinnen Jungfrauthemen wie Ernährung, Gesundheitswesen, Versicherungen… oft einen progressiven, reformorientierten Einschlag. (Nehmen wir das Beispiel des umstrittenen derzeitigen Gesundheitsministers K.Lauterbach. Er hat den Merkur im Wassermann und drängt demzufolge fortwährend auf Strukturrefomen im Gesundheitswesen. Natürlich ist damit nichts gesagt über Sinn oder Unsinn, Erfolg oder Misserfolg der durchgestzten bzw. propagierten Maßnahmen.) – Merkur im Horoskop Heideggers befindet sich im zweiten Zeichen von der Jungfrau aus gesehen. Dementsprechend erweist sich das Heideggersche Denken bei aller komplexen Begrifflichkeit immer wieder als „substanziell“, gar „dinglich“ – wir werden auch hier verwiesen auf das Nachdenken Heideggers über die Sorge, die ja auch die konkret-materielle Umsorgung ist. Die Waage ist das fünfte Zeichen von Zwillingen aus gesehen, auch hier also eine „fixe“ Prägung, vielleicht auch ein Grund für den kreativen Einschlag in Heideggers Begrifflichkeit – die berühmt-berüchtigten Heideggerismen.

6 Gedanken zu „Merkur – merkwürdig

  1. Da könnte man 12 verschiedene Möglichkeiten eines Merkurtyps unterscheiden.Wäre vielleicht interessant und auch für z
    B Venus möglich.

  2. Vielen Dank für den anregenden Artikel zu einem „vergessenen“ Planeten!

    Interessant ist ja sicher auch, dass Merkur immer nahe an der Sonne bleiben muss. Er ist also im selben Zeichen wie die Sonne, oder einem Nachbarzeichen. Er „besucht“ also die nächste Umgebung, sieht, was dort los ist (Zwi) oder auch zu holen ist (Jun). Ist ein Merkur im Sonnenzeichen damit eher zurückhaltend, desinteressiert?
    Schöne Grüße! – Peter

    1. Gut gesagt! – Was ich nach wie vor schwierig finde: das Thema „Verbrennung“. Der Effekt ist in der Stundenastrologie wohl klar gegeben, wenn auch m.E. nicht so stark wie oft gesagt wird. Sonst, in den Horoskopen Nativer, habe ich nie gefunden, dass die Verbrennung sonderlich stark wirkt.
      Grüße,
      Klaus W.

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