Die sekundärprogressiven Sonne-Mondzyklen geben weitreichende Einblicke in den individuellen Lebensgang. Ich lasse sie niemals aus, wenn ich tiefergehende Kenntnis eines Horoskops gewinnen will, folge dort nur allzugerne D.Rudhyar („Der Sonne-Mond-Zyklus“). Mir kam unlängst der Gedanke, einen Blick auf die sekundärprogressiven Mondingresse zu werfen. Und in der Tat scheint dies lohnend. Der Mond durchläuft ein Zeichen in gut zwei Tagen, sekundärprogressiv also dauert ein Mondlauf durch ein Zeichen gut zwei Jahre. Nachfolgend einige Beispiele, sie sollen erste Veranschaulichung geben:

Goethe, Sekundärprogressiver Mondingress in den Krebs (02.10.1749, Frankfurt)
Goethes Mond erreicht den Krebs am 02.10.1749, dem Jahr 1784 entsprechend. Goethe ist 35, zu dieser Zeit eher mit Regierungsgeschäften befasst als mit der Dichtung. Seine Bilanz im Politischen ist durchwachsen, Unlust plagt den Dichter. Die zweite Mondknotenrückkehr stand an. Goethe sucht einen Neustart. Der Herzog zeigt sich wohlwollend, gibt dem Geheimen Rat einen langen Urlaub. In den ersten Septembertagen 1786 macht sich Goethe vom Acker, auf den Weg nach Italien, wo er nach eigener Auskunft die beste Zeit seines Lebens verbringen wird. Die Reise dauert fast zwei Jahre. Zum Zeitpunkt der Abreise stand der progressive Mond auf ca. 25 Grad Krebs, er hatte eben das Trigon zum Geburtsherrn Jupiter durchlaufen, nun näherte er sich dem Neptun – Fernweh stellte sich ein. Der starke Jupiter (im Domizil, Regent über den Schütze -AC) befindet sich im genauen Spiegel zur Waage-Sonne im neunten Haus. Goethe erhoffte sich nicht zuletzt Impulse für sein künftiges Schaffen, ästhetischen Anreiz. Nach F.Glahn löst der Spiegel oft Motivation, inneren Antrieb, Begehren aus. So auch hier im Spiegelverhältnis Sonne – Jupiter. Mitte Februar 1787 erfolgt der Wechsel des progressiven Mondes in den Löwen. Zu diesem Zeitpunkt ist Goethe schon seit drei Monaten in Rom, wo er sich von Anfang an wie zuhause fühlt. Es findet sich ein Krebs-AC mit dem Löwe-Mond im ersten Haus, einem Jupiter als Spannungsherrscher in Haus neun im Trigon zum AC und einem weiteren zum Skorpion-Saturn.
Nachfolgend das Beispiel M.Robespierre, sek.progr. Mondingress in den Löwen, 09.06.1758, Arras:

Der sek.progr. Ingress in den Löwen ging der Proklamation der Republik (21.09.1792) um nur knapp zwei Wochen voraus. Robespierre wurde hingerichtet Ende Juli 1794, er starb also einige Monate vor dem nachfolgenden progressiven Mondingress. Mars als Herr über acht auf dem AC in Opposition zu Saturn – Robespierre zeigte sich gnadenlos, selbst früheren Weggenossen gegenüber (Hébert, Danton… – die Revolution fraß ihre Kinder). Am Ende teilte er deren Schicksal. MC=SA/NE (die direkten Halbsummen sollten nie unberücksichtigt bleiben): die Verfolgung, die Desintegration, letztlich der Zerfall als Staatsmaxime. All dies aus nüchternem, „sachgebundenem“ Kalkül heraus (Geburtsherr Merkur im Domizil in Haus 10). Und dies bei der Sonne in der direkten Halbsumme JU/PL – der massive Führungsanspruch, doch eben der sollte Robespierre zum Verhängnis werden, da er zunehmend mit einem eitlen royalen Gestus verbunden war.
Hier nun der sekundärprogressive Mondingress in die Fische. 09.12.1755, Wien für Marie Antoinette, hingerichtet im Oktober 1793, neun Monate nach dem Tod ihres Mannes:

Der Ingress ist fällig Ende Februar 1792. Die Königin muss durchleben Flucht, Demütigung, Absetzung, Inhaftierung, die Hinrichtung des Königs, dann der eigene Tod. Das Bild ist nahezu plakativ mit Saturn am IC im Domizil und der Sonne-Pluto-Konjunktion, dazu die in der Abb. markierte Konstellation. Der starke Saturn – mit Abstand der stärkste des Horoskops – ist womöglich als Hinweis auf die Standfestigkeit der Königin angesichts des sicheren Todes zu werten, selbst noch in den letzten Minuten ihres Lebens. – Mitunter lohnt der Blick auf den 90er-Kreis, er macht nicht selten verdeckte Zusammenhänge sichtbar, siehe Uranus, siehe die Verbindung AC – SO.PL.:

Ein weiteres Exempel: Kanzler W.Brand, vor 50 Jahren (Anfang Mai 1974) Rücktritt wegen der berühmten Spionageaffäre „Guillaume“. Der Mondingress in den Skorpion war fällig im Spätherbst 1972: Brand hatte gegen etliche Anfeindungen („Verräter!“) die sog. Ostpolitik durch den Bundestag gebracht. Nun aber stand er – auch innerparteilich (Schmidt, Wehner..) – auf dem Prüfstand. Am Tag des Rücktritts war der sek.progr. Mond auf 20,x Grad Skorpion.

Der Mond als Spannungsherrscher – ein solcher sollte immer in den Focus genommen werden. Er steht im Fall, schlimmer noch: desgleichen sein Herrscher Mars. Somit ist das Bild (siehe Markierung) MO=SO/MA als eher ungünstig zu werten. Ungünstig auch: Merkur als Geburtsregent befindet sich gleichfalls im Fall. MO=JU/NE – das scheinbare Glück, so heißt es hier. Das MC auf dem Elementargrad 2. Grad Wassermann: das unerwartete Gewitter, der Donnerschlag. Die Demission Brands kam aus heiterem Himmel. Man wird aber annehmen dürfen, dass es da eine Amtsmüdigkeit gab, Enttäuschungen nicht zuletzt wegen der genannten parteiinternen Rivalen. Zudem: Saturn in Haus eins kommt aus dem achten Haus.
Studienfall: Präsident A.Lincoln, Mondingress in den Wassermann, innerhalb der Wirksamkeit dieses Ingressbildes der Tod Lincolns gegen Ende des für ihn siegreichen Sezessionskrieges (er wurde ermordet):

Lincoln war „Kriegspäsident“ für die gesamte Dauer seiner Amtszeit. Gleichermaßen „Täter“ wie „Opfer“.
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Beispiele exemplifizieren, sie haben Beweischarakter in nur bedingter Form (wann denn wäre dergleichen „bewiesen“?). Nicht immer – nach erster Sichtung – sind die Befunde so prägnant wie in den obigen Horoskopen. Und man mag mit guten Gründen sagen, es fehle ja eh nicht an Techniken, Methoden, Direktionen etc. Aber auch in der Astrologie gilt das Heraklitsche Wort von der Natur, die dazu neigt, sich zu verbergen. Weshalb es opportun sein mag, diesem Versteckspiel mittels Variation beizukommen. „Variatio delectat“, das soll schon unter den hellenistischen Astrologen geläufig gewesen sein. Und man mag hier womöglich auch Kants „interesseloses Wohlgefallen“ in die Waagschale werfen – ?